15. Mai 2013, Europa
Wellness am Wasser
Wie Angeln heimlich zum neuen Trendsport wurdeEntschleunigung, Nachhaltigkeit, Landlust – die Megatrends eines gesünderen, achtsameren Lebensstils verändern unbemerkt auch die Freizeitvorlieben der Deutschen. Besonders deutlich sieht man dies im Moment am Boom des Angelns: „Street Fishing“ begeistert die Scene-Kids europäischer Metropolen, stylische Angelruten in Pink oder Lavendel locken modebewusste Frauen-Zielgruppen. Cool designte Lifestyle-Magazine wie „Scale“ breiten die Botschaft von Rute und Rolle im Internet aus. Längst hat das Angeln andere Trend-Aktivitäten wie Reiten, Segeln oder Surfen überholt*. Aktuell gibt es rund 4 Mio. Angler zwischen Kiel und Konstanz. Und vor allem in den jungen Bevölkerungsgruppen wächst die Zahl der Hobby-Fischer.
Der Deutsche Olympische Sportbund meldete 2010, dass Angeln auf Platz 3 der Outdoor-Vereinssportarten geklettert sei ¬ – nur noch übertroffen von Tennis und Fußball**. Angler, so zeigen andere Statistiken***, sind in den besseren Einkommensschichten zu Hause und leben überwiegend in Familien mit Kindern – stammen also aus der Mitte der Gesellschaft. Und obwohl jedem auffallen könnte, dass sich immer mehr Gleichgesinnte auf Brücken und an Hafenkais treffen, an Kanälen, Küsten und Flussläufen ihrer Leidenschaft frönen, dennoch erfährt das Angeln noch vergleichsweise wenig öffentliche Aufmerksamkeit.
Am Mangel an prominenten Vertretern und Vorbildern kann es nicht liegen: Männer und Frauen tun es. Rocker und Rapper tun es genauso wie Kinohelden und Fußballstars. An der Seine in Paris und an der Spree in Berlin tun sie es. Im Schatten des neuen Hauptbahnhofs und vor der Glasfassade des Bundestags tun sie es. Väter mit ihren Söhnen und Banker nach Schalterschluss tun es. Sogar die Kanzlerin im Urlaub tut es. Sie alle genießen das einzigartige Vergnügen, mit sich und der Natur alleine am Wasser zu stehen. Ohne Hektik, ohne Stress, ohne Radio, TV und Terminpläne.
Vor allem Musiker brachten die Fishing-Welle ins Rollen: Schon vor Jahren drehten Tom Waits und Jazzlegende John Lurie einen Film über ihre Angel-Abenteuer auf Jamaika („Fishing with John“). Die Hamburger Hip-Hopper „Fettes Brot“ und der Schweizer „DJ Bobo“ nahmen dem Angeln hierzulande sein Spießer-Image. Flankiert werden sie von Fußballern wie Torjäger Miroslav Klose und U19-Bundestrainer Horst Hrubesch oder von Hollywood-Stars wie Dennis Hopper, Robert Redford und Brad Pitt – der das Angeln angeblich einst am Pool von Rock-Röhre Melissa Etheridge lernte.
Apropos Frauen: Im traditionell naturverbundenen Amerika gibt es nicht nur Angelausrüster, die besonders elegante und leichte Lady-Ausrüstungen in aktuellen Modefarben anbieten, sondern auch landesweite Frauen-Turniere und seit Jahren wöchentliche Fernseh-Shows speziell für Petrijüngerinnen. Die beliebteste, „What A Catch“, zeigt Kathryn Maroun auf ihren Streifzügen rund um den Globus zu den Top-Angelrevieren der Welt. Während in den USA Meryl Streep und Bond-Girl Jane Seymore schon lange als Ikonen des eleganten Angelns gelten, entdecken die Frauen hierzulande erst jetzt die Faszination Fischen.
Weniger als 10 Prozent der Angelbegeisterten in Deutschland sind weiblich. Doch das ändert sich gerade. Denn Angeln ist Wellness, Angeln ist Balance. Angeln ist Selbermachen. Und Angeln ist die Vorstufe zu einem rundum gesunden Hauptgericht. Damit verbinden die Mußestunden am Wasser alles, was den bevorzugten Lebensstil moderner Frauen ausmacht. Ähnlich wie das verblüffend erfolgreiche Gummistiefel-Magazin „Landlust“ stillt das Angeln unsere Sehnsucht nach Einheit mit der Natur, nach Zeit und nach ursprünglich gesunden Nahrungsmitteln.
Früh aufstehen, die Stille des Morgens mit allen Sinnen einsaugen, das Wasser riechen, dem Sumpf lauschen, die Nähe der Forelle auf der Haut spüren … – wer diese ganz eigene Mischung aus Meditation und Konzentration einmal erlebt hat, der versteht, warum Angeln einen geradezu perfekten Ausgleich zu unserer computergesteuerten, stressbelasteten, burnout-gefährdeten Alltagswelt bietet. Dabei gibt es eine Vielfalt an Leidenschaften zu entdecken: Was einst als tumber Zeitvertreib menschenscheuer Provinzler galt, offenbart heute ganz verschiedene Gesichter. Von der Kuttertour in den Schären bis zum Bergbach-Fischen in den Alpen, von Familienausflügen zum öffentlichen Forellenteich in Frankreich bis zum Lachsfang-Volksfest in Südschweden.
Fliegenfischen, Brandungsfischen, Eisfischen oder Street Fishing mitten in der Großstadt – beim Angeln wird jeder nach seiner Façon selig:
- Männer, die in der Clique einen auf dicken Fisch machen wollen,
- Freundinnen mit Lust auf Hook&Cook-Genüsse,
- Eltern, die ihren Backfischen zeigen wollen, wie man das Glück an den Haken nimmt,
- und alle, die sich in der heutigen Hai Society nach Natur und gesunder Lebensweise zurücksehnen.
Egal wie und wo man die Leine auswirft – im Angeln schwingt stets Nostalgie mit, ein Heimweh nach Unbeschwertheit und Glück aus Kindertagen, die Erinnerung an eine behütete, heilere Welt. Der junge Roman-Autor Andreas Möller erzählt diese Poesie in seinem Debütroman „Traumfang“, und er hat dafür ein treffend zeitgemäßes Bild gefunden: „Kein Manufactum-Katalog kann den Zauber alter Dinge auch nur annähernd entfachen wie ein Blick in den Angelkasten.“ Ein Zauber, wir ahnen es, der unser Leben wieder reicher und runder machen würde, wenn wir ihn denn wiederfänden.
Vor einiger Zeit schaffte das Angeln sogar den Sprung in die allerbeste Fernsehzeit. Erst fabulierte Günther Jauch am Freitagabend bei „Wer wird Millionär“ minutenlang über seine Erfahrungen mit Mehlwurm-Ködern; dann folgte am Sonntag der Tatort aus Konstanz, in dem Kommissarin Klara Blum (alias Eva Mattes) die meiste Zeit in ihrem Ruderboot dümpelt und beim kontemplativen Angeln letzte Antworten sucht. Am Ende des kriminologischen Fischzugs werden die beiden wichtigsten Fragen tatsächlich geklärt: Wer war der Mörder? Und was kostet ein Angelschein am Bodensee? Antwort auf letztere: 15 Euro am Ufer, 30 Euro im Boot.
*) AWA 2012
**) Deutscher Olympischer Sportbund, Bestandserhebung 2010
***) Bundesministerium f. Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Jahresbericht Binnenfischerei 2011
Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie unter der Adresse www.novasol-fishing.de