8. März 2011, Dänemark
So schmeckt Møn - Einfach lecker
Kirsten brennt für Äpfel, Sven und Jannie für Bier, William und Ellen für Kräuter und Salben, Wolfgang für Senf und feine Spirituosen. Gemeinsam beleben sie die Speisekarte der beliebten Ferieninsel Møn. Ihre lokalen Spezialitäten markieren nicht nur kulinarische Höhepunkte, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Natur und Kultur Møns. Ihre Verbundenheit mit der Landschaft lässt sich wohl kaum besser erfahren, als mit dem Fahrrad. Kulinarische Kostproben natürlich inklusive.
„Vom Obstanbau hatte ich zu Beginn nicht die geringste Ahnung“, lacht Kirsten Rohde-Jensen. „Aber ich liebe es, zu sehen, was sich aus eigener Kraft anpacken und dann aus dem Boden ziehen lässt“. Der Anblick ihrer akkurat aufgereiht stehenden 2.300 Apfel- und 200 Birnbäume ist eindrucksvoller Beleg einer echten Erfolgsgeschichte. Seit 2006 bewirtschaftet die Kopenhagener Anwältin im Südwesten Møns den einzigen ökologischen Obstbaubetrieb der Insel. Der Hof Rytzebækgård schmiegt sich in eine kleine Senke nur wenige Meter vom gleichnamigen Bilderbuchstrand entfernt. Zwölf verschiedene Sorten, darunter Holsteiner Cox, Rød Aroma, Topaz und Guldborg, baut sie an und vertreibt diese hauptsächlich über Restaurants bis Kopenhagen. Kirsten ist überzeugt, Äpfel schmecken am besten, wenn sie reif sind. Obstqualität und begeisternder Charme der Produzentin sorgen dafür, dass bereits im Dezember der letzte Apfel verkauft ist.
Keine 100 Meter vom Obsthof befinden sich Start- und Endpunkt der etwa 20 Kilometer langen Kunstrute. Mit etwas Glück treffen die Radler Kirsten an und können den Picknickkorb mit Äpfeln oder erfrischendem Apfelsaft auffüllen. Mit dem Rad geht es durch eine stille leicht gewellte Landschaft, an der die Hauptströme der Urlauber vorbeilaufen. Im Künstlerort Hårbølle führt die Radroute direkt am Atelier des deutschen Künstlers Klaus Titze vorbei. In seinen Kunstobjekten aus Weidengeflecht und Beton sind die Strukturen fossiler Funde und die Faszination der strahlend weißen Kreidefelsen Møns eine unverwechselbare Verbindung eingegangen. Eine beeindruckende Reminiszenz an seine neue Heimat.
Die Øl-Pige vom Bryghuset Møn
Im lebendigen Hauptort der Insel, Stege, treffen wir den fränkischen Braumeister Sven Austel und Jannie Røngaard. Sie selbst bezeichnet sich lachend als „Øl-Pige“, also Bier-Mädchen. Ihr Anliegen ist die Herstellung und der Ausschank qualitativ hochwertigen Biers, Sorte für Sorte von höchst individuellem, unverwechselbaren Geschmack. Die kleine Brauerei „Bryghuset Møn“ befindet sich im ehemaligen Lagerhaus eines alten Kaufmannshofes. Der Malermeister Ivan Luffe bewies Mut und Weitsicht, als er sich 1996 nach dem Kauf des abbruchreifen Hofes für Sanierung und Erhalt entschied. Heute zieht der „hyggelige“ Innenhof des „Luffe Gård“ Tag für Tag unzählige Besucher an.
Insbesondere Svens Bierkreationen und die von Jannie geführte, der Brauerei angeschlossene Restauration, erzeugen eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf die Besucher Steges. Hier winkt ein perlender Abschluss einer Radtour oder eines Stadtbummels. Die Begegnung mit sagenhaften Gestalten der Inselgeschichte wird mit jedem Glas „Klintekongens Bryg“ gleich mitserviert. Aus Achtung vor dem sagenumwobenen Herrscher und Beschützer der Inselbewohner hat Sven für dieses Bier ein Fässchen kalkhaltiges Quellwasser verarbeitet. Denn gehaust haben, soll der „Klintekongen“ in Höhlen in den Kreidefelsen an der Ostküste Møns.
Senf zum Fisch
Fischerei und Seefahrt bildeten über Jahrhunderte die Lebensgrundlage der Menschen auf Møn. Heute zählt der Tourismus zu einer der Haupterwerbsquellen der Inselbewohner. Während Stege seinen Reichtum der um 1500 aufblühenden Heringsfischerei verdankte, profitierte die kleine Insel Nyord im Norden der Stege Bucht, dank der von seinen Bewohnern geleisteten Lotsendienste, noch bis 1966 von der Seefahrt. Über 400 Menschen lebten hier früher – und nicht schlecht, sagt der auf Nyord lebende Schreiner Wolfgang Sürth. Dank ihres sehr viel höheren Einkommens hätten die Lotsen auf Nyord in ihren Häusern fast ausschließlich kostbares Eichenholz verwendet. Für Landwirte auf Møn sei dies unbezahlbar gewesen. Heute kämpfen die verbliebenen 43 Bewohner, der seit 1968 über eine kleine Brücke mit Møn verbundenen etwa fünf Quadratkilometer großen Insel Nyord, um den Erhalt ihrer Dorfgemeinschaft.
Die Radroute zur kleinen Nachbarinsel Møns führt zunächst durch den Urwald von Ulvshale. Danach verstummen die lustigen Gespräche von Rad zu Rad abrupt. Über die weiten Salzwiesen bläst in aller Regel ein kräftiger Wind. Die Luft ist gefüllt vom Brausen des Windes und dem Geschrei der unzähligen Seevögel, Wolkenfiguren rasen über den Himmel und ziehen dabei ihre kühlen Schatten über das flache Land. Ein letzter Anstieg – und der Wind wird durch Hecken und Gärten gezähmt. Die Besucher betreten eine Postkartenidylle, komponiert aus schmucken Vorgärten, knorrigen Bäumen, bunten Wohnhäusern und einem kleinen Hafen.
Mittendrin liegt „Noorbohandelen“, ein kulinarisch-kulturelles Gesamtkunstwerk. Der Düsseldorfer Wolfgang Sürth verkauft hier ausgewählte Spirituosen vom Fass, betreibt gemeinsam mit seiner Frau ein kleines Café und hat ein kleines Museum zur Geschichte Nyords eingerichtet. Lokale Leckereien stehen auch bei ihm ganz hoch im Kurs. Der Frokostteller bietet dem erschöpften Radler nicht nur neue Kraft sondern auch einen kulinarischen Streifzug durch die Urlaubsregion: Bier von Sven, Apfelsaft und Honig von Kirsten, Käse und Wurst aus der Nachbarschaft. Das Speltbrød (Dinkelbrot) backt Wolfgang selbst.
Die Krönung des Ganzen aber ist der von ihm selbst produzierte Senf. Seit drei Jahren baut er auf Nyord sogar Senf an. Seit Sommer 2010 können interessierte Besucher in der neu errichteten Senfmühle bei der Produktion zuschauen, probieren und den frisch abgefüllten Senf mitnehmen. Die außerordentlich schmackhaften Senfkreationen spiegeln die kulinarische Vielfalt der Umgebung wieder: Senf zum Fisch (Fischerei), Biersenf (Brauerei), Honigsenf (Imkerei).
Naturkosmetik aus dem Urwald
Bei Detailfragen zum Produktionsprozess kann Wolfgang fest auf seinen Nachbarn William Houman zählen. Der einstige Lebensmittelchemiker steht ihm mit fachlichem Rat zur Seite. Dabei hat er selbst mit der Lebensmittelproduktion schon viele Jahre gar nichts mehr zu tun. Gemeinsam mit seiner Frau Ellen kreiert und produziert er seit 20 Jahren erfolgreich Naturkosmetik von der Hautsalbe über Deos bis zum Haarshampoo. „Die Chemie stimmt“ beschreibt William lachend das Betriebsklima im Zweipersonen-Unternehmen „Nyord Naturprodukter“.
Von Ende Juni bis August streifen die beiden über Nyord, durch den Urwald von Ulvshale oder durch den eigenen Garten auf der Suche nach ihren Rohstoffen, Blättern, Blüten, Früchten. Die nächsten Arbeitsschritte erfolgen in „unserer Werkstatt“, wie William sein Laboratorium liebevoll bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine für einen Laien abenteuerliche Installation aus Glaskolben, Trichtern, Röhren und Glasballons in denen es unentwegt blubbert und tropft. Ungefähr 3.000 Gläser produzieren die beiden pro Jahr. Für Kräuterextrakte, die nicht sofort zum Einsatz kommen, hat das Ehepaar zwei Eisfächer im Dorfkühlhaus gemietet. Der Großteil ihrer Naturkosmetik geht im kleinen Hofladen über den Thresen.
Kreidefelsen erzählen von der Geburt Dänemarks
Die heutigen, sowohl für Senf- als auch Obstanbau besonders günstigen klimatischen Bedingungen sind das Ergebnis Jahrmillionen währender erdgeschichtlicher Entwicklungsprozesse. Eine atemberaubende Illustration dieser Entwicklung präsentiert das Geo Center Møns Klint. Das vorbildlich in die Landschaft oberhalb der hier über 100 Meter abfallenden Kreidefelsen eingepasste Bauwerk lockt jährlich etwa 75.000 Besucher an. Nils Natorp, Leiter des Museums, schickt die Gäste auf eine Zeitreise durch 70 Millionen Jahre. „Mit Hilfe von Sauriernachbildungen, Computersimulationen, 3-D-Filmen, Kunstinstallationen, interaktiven Modellen und einem Labor versuchen wir, die Vergangenheit in Szene zu setzen“, erklärt Nils das Ausstellungskonzept.
Bei vielen Besuchern, insbesondere auch bei Kindern und Jugendlichen, sei ein Bedürfnis nach regionaler Identität zu spüren. Dem kommt die Ausstellung auf beeindruckende Art und Weise nach, in dem sie nicht nur die „Geburt Dänemarks“ nacherzählt, sondern auch die enge Beziehung zwischen Mensch und Landschaft.
Um diesen Aspekt geht es auch Kirsten, Sven, Jannie, Wolfgang, William und Ellen und etwa 40 weiteren Betrieben, die sich zur gemeinsamen Vermarktung ihrer lokalen Produkte zusammengeschlossen haben. Ihre Erzeugnisse geben der Landschaft einen Geschmack und sind eine wahrhaft schmackhafte Alternative zu den Allerweltsprodukten einer globalisierten Weltwirtschaft. Kaum eine Speisekarte kommt ohne ihre unwiderstehlichen Kreationen aus. Selbst im Supermarkt in Stege sind die lokalen Produkte mit dem blauen Logo aus dem Warensortiment nicht mehr wegzudenken.
Autor: Yörn Kreib
Die Broschüre „So schmecken Møn & Sydsjælland“ ist zu beziehen über das Touristbüro Møn in Stege Storegade 2, DK-4780 Stege Tel. +45 5586 0400, www.visitmoen.dk. In ihr sind die hier erwähnten sowie etwa 35 weitere Produzenten, Restaurants usw. beschrieben. Im Touristbüro sind auch Fahrradkarten sowie Informationen zu den Sehenswürdigkeiten der Insel erhältlich.