13. Dezember 2011, Zürich, Schweiz
Roswitha Haftmann-Preis 2012 für Cindy Sherman
Der höchstdotierte europäische Kunstpreis, der Roswitha Haftmann-Preis, geht 2012 an die amerikanische Künstlerin Cindy Sherman. Mit einem Sonderpreis wird der Filmemacher Harun Farocki ausgezeichnet.
Der Stiftungsrat der Roswitha Haftmann-Stiftung vergibt 2012 den mit CHF 150.000.– dotierten Roswitha Haftmann-Preis an die amerikanische Künstler Cindy Sherman (*1954).
Sherman zählt zu den wichtigsten Vertreterinnen der inszenierten Fotografie. Sie bedient sich ausschliesslich ihrer eigenen Person, ihres eigenen Körpers als Modell ihrer Inszenierungen, verfolgt jedoch kein selbst-referenzielles Konzept. Sie ist die Neu-Erfinderin der Rollenfotografie. Ihr Rollenspiel, das im Atelier als Performance beginnt, gelangt schliesslich als Fotografie an die Öffentlichkeit. Die Darstellungen überschreiten die Grenzen des Exhibitionistischen und provozieren umso mehr, da sie nicht als Selbstporträts verstanden werden wollen. Vielmehr parodiert Sherman in wechselnden Rollen stereotype Frauenbilder und thematisiert die weibliche Identität in einer männlich dominierten Gesellschaft. Untersucht werden Verdrängungsprozesse des Körperlichen, Psychischen und Sexuellen, die gegenwärtig mit Tabus besetzt sind. Die Künstlerin zeigt sie in teils grellfarbigen überzeichneten Stellvertretern («Reproduktionen »).
Technisch und formal lehnt sich Sherman an Charakteristika der Werbung, des Kinos oder der klassischen Malerei an. In diesen gestalterischen Grenzen hat sie sich eine hohe Beweglichkeit bewahrt. Der Durchbruch gelang ihr mit einer Reihe von Schwarzweiss-Fotografien, die zwischen 1977 und 1980 entstanden: den «Untitled Film Stills» und die an Standbilder des italienischen Neorealismus sowie an den amerikanischen Film Noir erinnern. In darauf folgenden, ersten farbigen Fotoserien werden sexuelle Übergriffe thematisiert. Prothesen und Puppen werden bevorzugte Requisiten der Künstlerin. Es folgen History-Porträts, inszeniert nach bekannten Gemälden und mit einem hohen Wiedererkennungsgrad für den Betrachter, Serien zu Themen wie Hollywood und Clowns.
Sherman führt ihr Publikum in konfliktgeladene Situationen. Die individuelle Identität die sie darstellt, trifft auf ein kollektives Unterbewusstsein, artifizielle Schönheit auf natürliche Brutalität. Indem ihre Kunst den Betrachter anzieht und abstösst, ihn tief zu verunsichern und zugleich nachhaltig zu faszinieren vermag, zeigt Sherman ein besonderes Talent. Für die Jury der Roswitha Haftmann-Stiftung ist sie nach Andy Warhol die bedeutendste Künstlerin der filmischen und fotografischen Selbsterforschung. In Anerkennung dieser künstlerischen Leistung verleiht der Stiftungsrat ihr den Roswitha Haftmann-Preis.
Preisträgerin und Übergabe
Cindy Sherman wurde 1954 in Glen Ridge, New Jersey, geboren. Sie studierte Malerei am State University College in Buffalo, New York und begann sich währenddessen mit Fotografie zu beschäftigen. Ihre erste bedeutende Arbeit, «Bus Riders» (1976), entstand noch zu Studienzeiten. Heute lebt und arbeitet die Künstlerin in New York. Ihre Werke sind in den Sammlungen der bedeutendsten Kunst-Museen der Welt vertreten – neben den USA insbesondere in Europa, aber auch in Mexiko und in Israel.
Cindy Sherman ist die zwölfte Künstlerpersönlichkeit, der Europas höchstdotierter Kunstpreis zuteil wird und neben Maria Lassnig, Mona Hatoum und Vija Celmins die vierte Frau. Die Übergabe des mit CHF 150.000.- dotierten Preises findet am 10. Mai 2012 im Kunsthaus Zürich statt.
Sonderpreis für Harun Farocki
Die Auszeichnung geht auf die Initiative von Roswitha Haftmann (1924-1998) zurück. Seit 2001 vergibt ihre Stiftung den Preis an lebende Künstlerinnen und Künstler, deren Werk von überragender Bedeutung ist. Wer den Preis erhält, wird vom Stiftungsrat bestimmt. Ihm gehören die Direktoren des Kunstmuseums Bern, des Kunstmuseums Basel, des Museum Ludwig in Köln und des Kunsthaus Zürich an. Hinzu kommen Mitglieder, die vom Stiftungsrat berufen werden. Die Statuten eröffnen die Möglichkeit, Sonderpreise zu vergeben. Davon macht die Jury nun zum dritten Mal Gebrauch und spricht dem in Berlin lebenden Regisseur Harun Farocki einen Sonderpreis in Höhe von CHF 75.000.– zu.
Der 1944 im heutigen Tschechien geborene Autor, Dozent und Filmemacher studierte von 1966 bis 1968 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Er machte sich als Filmkritiker und Drehbuchautor einen Namen und hat seit 1966 über 100 Produktionen abgeschlossen – überwiegend Dokumentar-, Essay- und Storyfilme. Viele seiner seit dem Jahr 2000 geschaffenen Arbeiten werden in Ausstellungen und Museen gezeigt – an der Biennale in Sao Paulo ebenso, wie an der Documenta 12. Er kuratiert Ausstellungen in Kunstvereinen und Museen.
Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie unter der Adresse www.kunsthaus.ch
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