30. August 2023, St. Pölten, Österreich
Heurigenkultur mit Gspritzter, Blunzn, Buschenschank in Niederösterreich

Der Heurige verkörpert Gemütlichkeit, Genuss und Gastfreundschaft und ist ein Stück Kulturgut im größten Bundesland Österreichs. Laue Spätsommer- und Herbsttage eignen sich hervorragend, um im lauschigen Gastgarten mit einem Achterl Wein auf das gute Leben anzustoßen.
Wein und Niederösterreich - das ist seit jeher eine untrennbare Verbindung. Entlang des Donaulimes bewiesen schon die Römer ihr Können im Weinbau und sorgten dafür, dass die Amphoren immer gut gefüllt waren. Schließlich galt ihnen ihr vinum als unverzichtbares Grundnahrungsmittel. Am 17. August 1784 gewährte Kaiser Joseph II. „jedermann die Freiheit, seine selbst erzeugten Lebensmittel, Wein und Most, zu jeder Zeit des Jahres, wie, wann und zu welchem Preis er will, zu verkaufen oder auszuschenken“. Die Geburtsstunde des Heurigen war geschlagen. Im Weinland Niederösterreich ist das historische Buschenschankpatent des Kaisers mit kleinen Anpassungen bis heute gültig. Demnach darf ein echter Heuriger nur Weine aus eigener Produktion ausschenken und das auch nur an 300 Tagen im Jahr.
Das Wort Heuriger bezeichnet übrigens sowohl den Wein aus der letzten Ernte des Vorjahres als auch das Lokal, in dem ein Heuriger ausgeschenkt wird. Ein Föhrenbusch über dem Eingang signalisiert den Gästen: Wir haben geöffnet. "Ausg'steckt is" heißt es dann in malerischen Kellergassen, am Fuße steiler Terrassenweingärten oder im Schatten alter Kastanienbäume. Was da ins Glas kommt, kann sich sehen lassen: Elegante Rieslinge mit dezenten Noten von Marille und Weingartenpfirsich oder feinwürzige Grüne Veltliner in der UNESCO-Welterberegion Wachau. International prämierte Lagenweine im Kremstal, Traisental, Kamptal oder am Wagram. Oder fruchtige Rotweine mit moderner Stilistik aus Carnuntum. Heute ist Niederösterreich mit rund 30.000 Hektar Rebfläche das größte Weinbaugebiet Österreichs.
Der Heurige: Institution des guten Lebens
Die einfachen Dinge sind oft die besten. Nirgendwo in Niederösterreich spürt man das so sehr wie beim Heurigen, wo irgendwie alle gleich sind: Im lauschigen Gastgarten oder in der gemütlichen Heurigenstube treffen sich Jung und Alt, Einheimische und Touristen, Freunde, Familie und Kollegen. Man sitzt an langen Heurigentischen auf blanken Holzbänken, plaudert, lacht und philosophiert über das Leben. Die Hauptrolle bei Tisch spielt natürlich der Wein, der gerne als Achterl (0,125 Liter), als Gspritzter (Weinschorle) oder als Gmischter Satz (Wein aus verschiedenen Rebsorten) serviert wird. Kinder schlürfen einen Traubensaft. Dazu schmecken ein Wachauer mit Liptauer, knusprige Grammeln oder ein saftiger Kümmelbraten. Einfach, regional und gut. Savoir vivre auf Niederösterreichisch sozusagen.
Wienerwald: Wiege der Heurigenkultur
Die sonnenverwöhnten Hügel der Thermenregion südlich von Wien wurden schon vor 2000 Jahren für den Weinbau genutzt. Im Jahr 1141 gründeten Zisterziensermönche des Stiftes Heiligenkreuz inmitten der Weingärten das Freigut Thallern, eines der ältesten Weingüter Österreichs. Im 13. Jahrhundert erhielt das Gut das Privileg des "Leutgebens" und durfte Wein aus eigenem Anbau ausschenken. Die hohe Qualität der Weine aus der Thermenregion sprach sich bis nach Wien zum österreichischen Kaiserhaus herum und adelte die Winzer der Region zu k.u.k. Hoflieferanten. Hoflieferanten. Kaiser Ferdinand I. soll beim Bau der Südbahn 1840 sogar eigens einen Tunnel graben lassen haben, um die edlen Rieden nicht zu beeinträchtigen.
Noch heute reist man mit der Bahn bequem zu den schönsten Heurigenorten vor den Toren Wiens wie Mödling, Perchtoldsdorf oder Gumpoldskirchen. Beim Heurigen Spaetrot in Gumpoldskirchen kreiert Johanna Gebeshuber, mehrfach als Heurigenwirtin des Jahres ausgezeichnet, fantasievoll interpretierte Slow-Food-Schmankerl wie Frühlingsrollen mit Frühlingskräutersalat, Schweinsbackerl-Gulasch und Ofenbratl vom Spanferkel. In den modernen Gasträumen des alten Winzerhofes können spannende autochthone Sorten wie Rotgipfler und Zierfandler glasweise verkostet werden.
Weinherbst: Die fünfte Jahreszeit
Wer das ganze Jahr über so fleißig ist wie die niederösterreichischen Winzerinnen und Winzer, der darf auch einmal richtig feiern. Zahlreiche Kellergassenfeste von August bis Mitte November stehen ganz im Zeichen des Rebensaftes und seiner Produzenten. Von den 1.100 Kellergassen Niederösterreichs liegen die meisten im Weinviertel. Eine der bekanntesten ist die Oagassen (Eigasse) in Falkenstein, wo alljährlich am 3. Septemberwochenende das Motto Wein-Kunst-Kultur ausgerufen wird. Zwischen den 65 historischen Presshäusern, die einst als Produktions- und Lagerstätten dienten, erklingt stimmungsvolle Livemusik und an den Kunsthandwerksständen findet sich das eine oder andere Weinviertler Souvenir. Am Freitagabend erstrahlt die Kellergasse im Rahmen der Romantischen Nacht in zauberhaftem Kerzenschein. Samstag und Sonntag geht es ab Mittag mit dem Verkostungsglas von Keller zu Keller, wo jede Winzerfamilie stolz ihre Weinkreationen ausschenkt und die kulinarischen Spezialitäten des Hauses serviert.
Mostheuriger: Das Beste aus der Birne
Begünstigt durch das milde Klima südlich der Donau reifen im Mostviertel rund 300 verschiedene Mostbirnensorten. Erstklassige Produzenten haben sich hier dem sortenreinen Birnenmost verschrieben, den man am besten direkt vor Ort bei einem der gemütlichen Mostheurigen entlang der Moststraße, im Pielachtal oder an der Eisenstraße verkostet. Die Palette der Mostkreationen ist bunt: Neben Mischmosten (Apfel und Birne) und Cuvées werden auch phantasievolle Mostvarianten wie Birnencider, Mostello, Birneneiswein oder Most-Radler kredenzt. Dabei gilt es, die Mostviertler Etikette zu beachten, deren wichtigste Regel es ist, dass man sich beim Mosttrinken nicht zuprostet, sondern „G’sundheit“ wünscht. Das Gegenüber antwortet vorschriftsmäßig mit einem freundlichen "Sollst leben!
