17. Januar 2012, Roskilde, Dänemark
Roskilde - Im Tal der Kønige
Hardrocker, Jazzer, Wikinger und ihre Fans fühlen sich in der einst mächtigsten Stadt Dänemarks besonders wohlEs ist eine typisch dänische Szenerie auf dem Platz vor dem Rathaus von Roskilde, an einem Sonnabendvormittag im Frühsommer. Junges Volk, ältere Hausmänner und Hausfrauen schlendern über den Wochenmarkt, der auch ein Flohmarkt ist. An allen Ecken flattert der rotweiße Dannebrog, Teenager knattern über eine Skaterrampe, mutig bis übermütig. In den Straßencafés und vor den Restaurants werden die ersten Frokostplatten aufgedeckt, „Sternschnuppe“ zum Beispiel, viel Fisch, viel Remoulade, etwas Salat und Brot. Und auch die ersten Tuborg oder Carlsberg sind angezapft. Jazzmusik weht durch die Altstadt, Oldies spielen Oldies „...down by the riverside“, „ice cream, you scream,..“.
So starten viele dänische Städtchen ins Wochenende. Und doch ist in Roskilde alles ein bisschen anders. Denn in dieser Stadt auf der Insel Seeland, nur 30 Kilometer von Kopenhagen entfernt, hat einmal das Herz Dänemarks geschlagen - und schlägt es womöglich heute noch. Roskilde war bis ins 15. Jahrhundert hinein die mächtigste Stadt Nordeuropas, Bischofssitz, königliche Residenz, Handelsmetropole. Harald Blauzahn hat hier, in der legendenverklärten Wikinger-Hochburg, vor über tausend Jahren das erste Gotteshaus auf der Insel Seeland errichten lassen.
Nach der Reformation verlor Roskilde allerdings rasch an Bedeutung, die Macht verlagerte sich nach Kopenhagen. Aber noch immer prunkt die kleine Stadt, knapp 50.000 Einwohner, mit großen Schätzen, deren größter der Dom ist. Er gehört nicht nur zum Weltkulturerbe, sondern birgt, für die patriotischen Dänen ist das wichtiger als so ein Etikett, die Gräber fast aller ihrer Herrscher, von Harald Blauzahn über Margrethe I., deren Sarkophag aus dem Jahre 1423 direkt vor dem Altar steht, bis zu Ingrid und Frederik IX., den Eltern der heutigen Monarchin Margrethe II. - 39 Königinnen und Könige insgesamt.
Wikinger auf Kaperfahrt
Von den Skatern und Marktfrauen zum alles überragenden Dom sind es nur ein paar Schritte, vorbei an einem Barockpalais, in dem 1840 das Grundgesetz dieses Landes beschlossen wurde. Und noch ein paar Schritte weiter, quer durch den Stadtpark, und schon stehen wir am Wasser, am Roskildefjord, in den in diesen Sommertagen wieder die Wikinger aus dem Museumshafen zur fröhlichen Kaperfahrt aufbrechen. Es sind so genannte Demo-Schiffe, mit Geschichtsstudenten im Wikingerlook besetzt. Auf dem Trockenen hingegen liegen fünf Originalboote aus dem 11. Jahrhundert, dazu die weltweit größte Rekonstruktion eines Wikingerschiffes.
Das also macht Roskilde aus: bedeutende Kirchen, viel Spaß in einer gemütlichen Altstadt und beste Erklärungen für alle Fans von Wicky und den starken Männern. Dazu ein Musikangebot, das konkurrenzlos ist in ganz Skandinavien. Bummeln wir mit Ulla Græm durch ihre Heimatstadt. Die Stadtführerin, mit viel Humor und Lokalstolz ausgestattet, nimmt sie die große Metropole in der Nachbarschaft gern ein bisschen auf die Schippe: „Als alle Macht von Roskilde ausging, war Dänemark immerhin elfmal größer als heute“, lästert sie, und lässt dabei außer acht, dass seither gut 500 Jahre ins kleiner gewordene Land gegangen sind.
Ulla weiß um die Stärken und Schwächen der vielen Könige, die im Dom versammelt sind; sie erzählt gern Döntjes, von Christian IV. beispielsweise, dem wohl bedeutendsten Herrscher: „...ein großer König, aber ein lausiger Ehemann, 24 Kinder hat er gezeugt, mit fünf verschiedenen Frauen...“ Am Grab der Eltern von Margrethe II., nicht im, sondern neben dem Dom, weist Ulla auf Steine von Grönland, den Färöern und aus Bornholm hin, den letzten Außenposten des geschrumpften Reiches.
Dänisches Woodstock
In Dänemark kennt jedes Kind Roskilde und die Geschichten aus dem „Tal der Kønige“. Wirklich weltberühmt aber hat diese dänische Kleinstadt erst ein Rockfestival gemacht, eine Art dänisches Woodstock. Jedes Jahr, seit 1971 schon, pilgern an einem sommerlichen Wochenende Zigtausend Fans hierher,. Sie zahlen umgerechnet etwa 230 Euro, um 150 Bands zu hören - und sie tun damit Gutes. Denn der Erlös des Spektakels fließt in humanitäre und kulturelle Projekte.
Heiß wird es wieder werden, aber geordneter als noch in den Neunzigern. Seit dem Jahr 2000, als bei damals weit über 100.000 Besuchern eine Panik ausbrach und neun Menschen zu Tode kamen, werden jährlich nur mehr 75.000 Tickets verkauft. Über zehntausend ehrenamtliche Helfer sind seither jedes Mal im Einsatz. Längst geht es nicht mehr nur um Rock, Hiphop oder Worldmusic, sondern um Kultur unterschiedlichster Art, auch um Kino, Sport und, das vor allem, um sehr viel Spaß.
Den bietet Roskilde den ganzen Sommer über. Die Stadt rockt und jazzt auch außerhalb der Festivaltage, was die Instrumente hergeben. Zum Beispiel in Djalma Lunds Gaard, einem Hinterhof an der Algade, der Hauptstraße im Fußgängerbereich. Jeden Sonnabendmittag geht dort die Post ab, besonders wenn Arne Fuglsang mit seinen Jersey Jazzmen den Ton angibt und die Leute zum Wippen bringt, zum Pfeifen, zum Hotten. Die da alle so lustvoll mitmachen, sind größtenteils Grauköpfe wie er, der mit siebzig, „on the sunny side of the street...“, noch fröhlich über die Dörfer tingelt.
Später Abend am Wikingerhafen. Am Eisschalter des Havnekiosken ist die Schlange kürzer, nebenan vor der Bierbar dafür umso länger geworden. Es ist eine dieser langen weißen Nächte des Nordens. Unten am Wasser sehen wir sie alle wieder, die wir vorhin im Hinterhof getroffen haben, Ulla und ihre Freunde, Arne und seine Frau Susanne, die ansonsten Piano oder Keyboard spielt, Berni Petersen, den Trompeter. Auch unter der Woche wird hier im Sommer heftig geschwoft: jeden Dienstag treffen sich die Roskilder mit ihren Gästen zum Linedance, immer mittwochs ist Hafentanz auf der Museumsinsel angesagt.
Man lässt es laufen im Roskilder Sommer, das Bier, das ungezwungene Gespräch, das Leben an und für sich. An solchen Tagen, an solchen Abenden, hier und anderswo im kleinen Königreich, versteht man wieder, warum die Dänen auch aus dem neuesten Eurometer, vor ein paar Monaten ganz offiziell erhoben, als die glücklichsten Europäer herausgegangen sind.
Bei Dänemarks offizieller Tourismuszentrale sind regionale Informationsbroschüren und Straßenkarten erhältlich: VisitDenmark, Postfach 70 17 40, D-22017 Hamburg, Tel. 018 05 / 32 64 63 (14 Ct./Min. Festnetz, Mobilfunkhöchstpreis 42 Ct./Min.), www.visitdenmark.com